4. Klasse: Bundesrecht
Die meisten arbeitsrechtlichen Regelungen in Deutschland entstammen dem Bereich des Bundesrechts.
Beispiele:
Außer im Bürgerlichen Gesetzbuch, Kündigungs-, Jugend- und Mutterschutzgesetz, Arbeitszeit- und Betriebsverfassungsgesetz finden sich arbeitsrechtliche Vorschriften in einer Vielzahl von Bundesgesetzen.
Innerhalb des Bundesrechts lässt sich nochmals folgende Normenhierarchie bilden:
1. Verfassung
2. Einfaches Gesetz
3. Tarifvertrag
4. Betriebsvereinbarung
5. Arbeitsvertrag
6. Direktionsrecht
Dies alles wird überlagert vom Günstigkeitsprinzip. D.h. wenn der Tarifvertrag 2.000 € und der Arbeitsvertrag 2.200 € Monatsgehalt vorsieht, geht die Regelung des Arbeitsvertrages vor.
Zuständig für die Überprüfung der Vereinbarkeit von einfachen Gesetzen mit dem Grundgesetz ist das Bundesverfassungsgericht.
Zuständig für die Überprüfung der Vereinbarkeit von Tarif- und Arbeitsverträgen mit (mehr oder weniger) "einfachen" Gesetzen ist das Bundesarbeitsgericht.
Theoretisch müssten sich mit Bundes- (und ggf. Landesrecht) die meisten arbeitsrechtlichen Fragen klären lassen.
Wie sieht es aber z.B. in folgenden Fällen aus?
Grenzfall:
Ein tarifgebundener sächsischer Arbeitgeber an der tschechischen oder polnischen Grenze unterliegt selbstverständlich den Bestimmungen des Tarifvertragsgesetzes. Trotzdem zahlt er an seine Arbeitnehmer weniger, als der Tarifvertrag vorsieht. Seine Mitarbeiter, auch die organisierten, sind, abgesehen von einigen "Rechthabern", damit einverstanden und sagen sich, dass es besser ist, einen Job zu haben, der untertariflich bezahlt wird, als keinen Job zu haben, der tariflich bezahlt wird.
In Bezug auf die nicht organisierten Arbeitnehmer ist das Verhalten des Arbeitgebers arbeitsrechtlich nicht zu beanstanden: Jeder weiß, dass Tarifverträge, solange sie nicht für allgemeinverbindlich erklärt wurden, ausschließlich für organisierte Arbeitnehmer gelten. Nachdem der Arbeitgeber alle Arbeitnehmer gleich ("schlecht") behandelt, hat er auch keine Probleme mit dem Gleichbehandlungsgebot.
Anders ist die Situation bei den organisierten Arbeitnehmern zu beurteilen. Hier verstößt die Vereinbarung einer untertariflichen Vergütung eindeutig gegen § 4 Abs. 3 des Tarifvertragsgesetzes.
§ 77 Abs. 3 BetrVG:
Ein anderer Arbeitgeber beschließt, Betriebsteile z.B. die Wäscherei eines Krankenhauses ins nahe Ausland zu verlegen. Dieser Beschluß ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach Bekanntwerden des Beschlusses kommt es zu einer Betriebsvereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Gestützt auf die überwältigende Mehrheit der betroffenen Belegschaft tauscht der Betriebsrat den Verzicht auf die Betriebsteilverlegung gegen einen Verzicht auf Tarifentgelt ein.
Alle sind zufrieden und freuen sich darüber, dass durch diese Aktion im Betrieb Arbeitsplätze erhalten werden können.
Auch in diesem Fall handelt es sich um eine rechtswidrige Freude. In diesem Fall ist die Freude sogar doppelt rechtswidrig, da sie zum einen gegen § 4 Abs. 3 des Tarifvertragsgesetzes und zum anderen gegen § 77 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt.
Die schnellste "Lösung" für diese beiden Fälle wäre natürlich, die beteiligten Personen einfach zu (Bundes-)Rechtsbrechern zu erklären und die schnellstmögliche Wiederherstellung "rechtmäßiger" Zustände zu fordern. Mit dieser "Lösung" machen wir es uns aber zu leicht. Die Folge wäre nämlich, dass eine "halbe Nation" zu Rechtsbrechern "abgestempelt" werden würde; ohne dass sich etwas ändert: Tausende "ansonsten" ehrbarer Bürger würden landauf landab fortfahren, weiterhin ohne jedes Unrechtsbewusstsein viertklassiges Recht zu brechen.
Eine befriedigende Erklärung für das Phänomen der massenhaften Missachtung von Bundesgesetzen finden wir, wenn wir akzeptieren, dass es oberhalb des Bundesrechts noch Rechtsquellen gibt, die stärker als Bundesrecht sind. Damit kommen wir zur